Weiterhin Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ...
Kriegsvorbereitungen, die das falscheste aller alten Sprichwörter* empfiehlt, um dem Friedenswillen zum Sieg zu verhelfen, rufen im Gegenteil zuerst bei jedem der beiden Gegner die Überzeugung hervor, der andere wolle den Bruch, eine Überzeugung, die den Bruch herbeiführt, und dann, wenn er stattgefunden hat, bei jedem die weitere Überzeugung, dass der andere ihn gewollt habe. Selbst wenn die Drohung nicht aufrichtig war, verführt ihr Erfolg dazu, sie zu wiederholen. Doch der genaue Punkt, bis zu dem ein Bluff erfolgreich sein kann, ist schwer zu bestimmen; wenn der eine zu weit geht, wagt sich der andere, der bis dahin nachgegeben hat, seinerseits vor; der erste, der seine Methode nicht mehr zu ändern weiß und sich an den Gedanken gewöhnt hat, die beste Art, den Bruch zu vermeiden, sei, so zu tun, als fürchte man ihn nicht [...], und im übrigen aus Stolz lieber untergeht als nachzugeben, verfolgt seine Drohung bis zu dem Augenblick, in dem keiner mehr zurück kann. Der Bluff kann sich mit Aufrichtigkeit mischen oder mit ihr abwechseln, so dass, was gestern noch Spiel war, morgen Wirklichkeit wird. Schließlich kann es auch vorkommen, dass einer der Gegner tatsächlich zum Krieg entschlossen ist, [...]– Marcel Proust († 18. November 1922): Die Gefangene (Band 5, Seite 495)
(*) das falscheste aller alten Sprichwörter: »Si vis pacem para bellum« (»willst du den Frieden, so bereite den Krieg vor«); in dieser Form im allgemeinen Flavius Vegetius (ca. 390 n. Chr.) zugeschrieben (Vorwort zum 3. Buch der Epitoma rei militaris), dem Gedanken nach jedoch schon in Platons Staat zu finden.– Übersetzung und Kommentar von Bernd-Jürgen Fischer (2015)
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