Ausbruch aus der irdischen Enge

Für W. K.

Es gibt kein Schicksal, das uns dazu verdammt, einsam zu sein.
Aus:
Jureks Reise – Ein Sputnik-Tagebuch
– ein Hörspiel über Liebe, Einsamkeit und Gespenster. Im Weltall und in der eigenen Seele.

Und eine fantasievolle Reflexion über die (Un-)Vollzähligkeit der Sterne, denn
Been­gung heißt auch, daß der Mensch mit sich allein auf diesem winzigen Weltkörper das Gefühl der Kontingenz nicht loswerden kann und sich von dem Anblick fremder Welten doch noch das ganz Unerwartete verspricht - und sei es das Versprechen, mit dem Leben müsse es nicht notwendig dahin kommen, wohin es mit ihm selbst gekommen ist. (Hans Blumenberg - Die Vollzähligkeit der Sterne, S. 119)


Gut. Er ist tot. Sie können jetzt mit ihm reden.

Hard, Harder, Greg Egan

Hard Science-Fiction at its best...

... weil es heute Eskapismus ist, keine Science-Fiction zu lesen! (*)

Das Bewusstsein erscheint uns als stetiger Strom, wohlgemerkt: erscheint! Das ist die Art und Weise, wie das Gehirn unsere Wahrnehmung organisiert. Die Realität entsteht nicht kontinuierlich, sondern in plötzlichen Ausbrüchen wie elektrische Entladungen. Unser gesamtes Erleben wird retrospektiv konstruiert, so etwas wie die Gegenwart gibt es gar nicht – es ist nur die Vergangenheit, die wir auf diese Weise einmalig machen können.
– Greg Egan: Quarantäne

Maria sah es fast zum Greifen nah vor sich: ein riesiges Gitterwerk aus Computern. Ein Saatkorn von Ordnung in einem Ozean aus chaotischem Rauschen. Es wuchs und wuchs, erweiterte sich stetig – durch nichts als die zwingende Kraft seiner inneren Logik. Es formte die zu seiner Erweiterung benötigten »Bausteine« aus dem Chaos der Nicht-Raum-Zeit durch nichts anderes als Definition … Es werde Zeit, es werde Raum.
– Greg Egan: Cyber-City

Sobald die Menschen nicht mehr verstanden, wie die Maschinen funktionierten, von denen sie umgeben waren, verwandelte sich die Welt, in der sie lebten, in eine unbegreifliche Traumwelt. Dann entzog sich die Technologie jeder Kontrolle, jeder Diskussion, so dass man ihr nur noch mit Verehrung oder Verachtung, mit Abhängigkeit oder Entfremdung begegnen konnte.
– Greg Egan: Qual



100

Requiescat in pace

Weiterhin Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ...

Kriegsvorbereitungen, die das falscheste aller alten Sprichwörter* empfiehlt, um dem Friedenswillen zum Sieg zu verhelfen, rufen im Gegenteil zuerst bei jedem der beiden Gegner die Überzeugung hervor, der andere wolle den Bruch, eine Überzeugung, die den Bruch herbeiführt, und dann, wenn er stattgefunden hat, bei jedem die weitere Überzeugung, dass der andere ihn gewollt habe. Selbst wenn die Drohung nicht aufrichtig war, verführt ihr Erfolg dazu, sie zu wiederholen. Doch der genaue Punkt, bis zu dem ein Bluff erfolgreich sein kann, ist schwer zu bestimmen; wenn der eine zu weit geht, wagt sich der andere, der bis dahin nachgegeben hat, seinerseits vor; der erste, der seine Methode nicht mehr zu ändern weiß und sich an den Gedanken gewöhnt hat, die beste Art, den Bruch zu vermeiden, sei, so zu tun, als fürchte man ihn nicht [...], und im übrigen aus Stolz lieber untergeht als nachzugeben, verfolgt seine Drohung bis zu dem Augenblick, in dem keiner mehr zurück kann. Der Bluff kann sich mit Aufrichtigkeit mischen oder mit ihr abwechseln, so dass, was gestern noch Spiel war, morgen Wirklichkeit wird. Schließlich kann es auch vorkommen, dass einer der Gegner tatsächlich zum Krieg entschlossen ist, [...]
– Marcel Proust († 18. November 1922): Die Gefangene (Band 5, Seite 495)




Die Rottöne sind uns ausgegangen...

Wer wir gewesen sein werden

Die Perspektive des Futur zwei als Ausblick in eine vollendete Zukunft:
Jeder Sommer, den wir jetzt erleben, wird der Kälteste gewesen sein.

Die Bedingungen des Überlebens werden durch das Klima festgelegt – mit seinen langsamen Veränderungen, die eine Generation oft gar nicht wahrnimmt. Und es sind die klimatischen Extreme, die das Muster bestimmen. Einzelne, endliche Menschen können vielleicht das Klima einer bestimmten Region beobachten, Fluktuationen im Jahreswetter, und gelegentlich fällt ihnen etwas in der Art von »Das ist das kälteste Jahr, das ich jemals erlebt habe« auf. All das ist ersichtlich. Aber Menschen werden nur selten auf einen sich über viele Jahre hinweg verändernden Durchschnittswert aufmerksam. Aber es ist genau diese Aufmerksamkeit, durch die Menschen lernen, wie man auf welchem Planeten überlebt. Die Menschen müssen lernen, das Klima zu begreifen.
Frank Herbert: Die Kinder des Wüstenplaneten (1976)


Vergleichsweise selten aber versuchen wir, uns im Blick jener zu identifizieren, die kommen und an uns verzweifeln werden.
[...]
Ja, wir wussten viel und fühlten wenig. Wir durften es nicht fühlen und hörten doch T.S. Eliot fragen: »Where is the wisdom we lost in knowledge? Where is the knowledge we lost in information?« Hörten es und häuften noch mehr Informationen auf. Als brauchten wir zum Handeln einen neuen Klimabericht, einen neuen Schadensbericht über die Weltmeere, den Regenwald, die grassierende Armut. Aber aus all den Fakten ist keine Praxis entsprungen, die auf der Höhe der drohenden Zukunft wäre.
[...]
So bewegten wir uns in die Zukunft des Futurums II: Ich werde gewesen sein.
[...]
Wir waren die, die verschwanden. Wir lebten als der Mensch, der sich in der Tür umdreht, noch etwas sagen will, aber nichts mehr zu sagen hat.
Roger Willemsen: Wer wir waren. Zukunftsrede (2016)


What troubles me most is that, in facing this global crisis, we are failing to work together as a multilateral community.
Was mich am meisten beunruhigt, ist, dass wir angesichts dieser globalen Krise nicht in der Lage sind, als multilaterale Gesellschaft zusammenzuarbeiten.
We have a choice. Collective action or collective suicide.
Wir haben die Wahl. Entweder handeln wir zusammen oder wir begehen kollektiven Suizid
UN-Generalsekretär António Guterres: Petersberger Dialog, Berlin (18. Juli 2022)


Geschichte deines Lebens

Die schönste Liebesgeschichte der Welt


Für Lennon.


In diesem Abschnitt deines Lebens wird für dich keine Vergangenheit oder Zukunft existieren; bis ich dir meine Brust gebe, wirst du keine Erinnerungen an zurückliegende Befriedigungen haben oder Erwartungen auf zukünftige Linderungen hegen. Sobald du zu nuckeln beginnst, wird sich alles ändern, und die Welt wird wieder in Ordnung sein. JETZT ist der einzige Augenblick, den du zur Kenntnis nehmen wirst; du wirst in der Gegenwart leben. Das ist in vielerlei Hinsicht ein beneidenswerter Zustand.
– Ted Chiang: Geschichte Deines Lebens (2011)

Plötzlich wurde mir alles klar: seine Absonderlichkeiten,
die bei den Leuten Verwunderung und
Spott hervorriefen, seine Verträumtheit, sein
Hang zur Einsamkeit, seine Schweigsamkeit. Ich
begriff jetzt, warum er ganze Abende auf dem
Wachthügel saß und allein am Fluß übernachtete,
warum er unablässig auf Laute horchte, die anderen
nicht vernehmlich waren, warum manchmal
seine Augen plötzlich aufleuchteten und seine
meist gerunzelten Brauen emporzuckten. Er war
ein zutiefst verliebter Mensch. Aber er war nicht
einfach in einen anderen Menschen verliebt — sondern
es war eine andere, alles umfassende Liebe
zum Leben und zur Erde. Diese Liebe erfüllte ihn
ganz, sie klang aus seinen Liedern, sie war sein
Leben. Ein gleichgültiger Mensch hätte niemals so
singen können, und wenn seine Stimme noch so
gut gewesen wäre.
– Tschingis Aitmatow: Dshamilja (1962)



Versuch über die Maschinen

DAVE

Ursprünglich sollte dies allein eine Empfehlung für Raphaela Edelbauers Roman „DAVE“ werden. Doch dann verschmolz das Buch zusammen Ernst Cassirers „Versuch über den Menschen“ und George Dysons „Analogia“ zu einem „Drama“ in drei Akten.

Prolog
Im ganzen genommen könnte man die Kultur als den Prozeß der fortschreitenden Selbstbefreiung des Menschen beschreiben. Sprache, Kunst, Religion und Wissenschaft bilden unterschiedliche Phasen in diesem Prozeß. In ihnen allen entdeckt und erweist der Mensch eine neue Kraft, die Kraft, sich eine eigene ‚ideale‘ Welt zu errichten. (Cassirer 2009:345)
I Exposition
Wir, die Menschen, wollten nicht nur unser eigenes, sondern das Leben an sich und seine unendliche, facettenreiche Intelligenz gestalten. Ein unhaltbarer Fortschritt, eine Kettenreaktion entfaltete sich: Vom simplen Werkzeug gingen wir über zur Gestaltung unserer Lebenswelt; vom angesammelten Wissen über unseren Körper hin zur Heilung und Verbesserung desselben und schließlich hin zur Schöpfung sich bewegender Artefakte, die uns eines Tages überlegen sein würden. Ein Prozess immer größerer Transzendenz, der das ehedem tote Universum zur Extension des eigenen Verstandes erklärte. (Edelbauer 2021:6)
II Entwicklung
There are four epochs, so far, in the entangled destinies of nature, human beings, and machines. In the first, preindustrial epoch, technology was limited to the tools and structures that humans could create with their own hands. Nature remained in control. (Dyson 2020:8)

Von der Steinzeit bis zur Erfindung des elektrischen Relais hatten wir bloß die Werkzeuge hergestellt. (Edelbauer 2021:40)

In the second, industrial epoch, machines were introduced, starting with simple machine tools that could reproduce other machines. Nature began falling under mechanical control. (Dyson 2020:8)

Hierfür bietet sich ein Toaster als Beispiel an: Er »denkt« daran, die Toastscheiben herauszuschleudern, wenn sie ausreichend geröstet sind. In Wirklichkeit dachte – chronologisch versetzt – aber bloß der Programmierer des Toasters daran. Auf unserem gegenwärtigen Entwicklungsstand ist jede KI nur eine äußerst elaborierte Version dieses Toasters – denn ein Wesen zu sein, ist ein Kategoriensprung, keine mechanische Komplexitätssteigerung. (Edelbauer 2021:170)

In the third epoch, digital codes, starting with punched cards and paper tape, began making copies of themselves. Powers of self-replication and self-reproduction that had so far been the preserve of biology were taken up by machines. Nature seemed to be relinquishing control. Late in this third epoch, the proliferation of networked devices, populated by metazoan codes, took a different turn. (Dyson 2020:8)

Was Sie fürchten, würde ich nicht als Kontrolle bezeichnen, sondern als Rationalität, als Verbannung des Irrationalen aus unserem Leben. Eine Maschine handelt gemäß den Gesetzen der Logik, davon können wir vieles lernen – es könnte eine vollkommen egalitäre Gesellschaft entstehen, das ist eine geschichtlich einmalige Chance, oder nicht? (Edelbauer 2021:238)

In the fourth epoch, so gradually that almost no one noticed, machines began taking the side of nature, and nature began taking the side of machines. Humans were still in the loop but no longer in control. Faced with a growing sense of this loss of agency, people began to blame “the algorithm,” or those who controlled “the algorithm,” failing to realize there no longer was any identifiable algorithm at the helm. The day of the algorithm was over. The future belonged to something else. (Dyson 2020:8f)

Entweder verfügt man über eine kontrollierbare Maschine, die aber kein Bewusstsein und daher keine Absicherung gegen Missbrauch besitzt. Oder man gibt die Kontrolle ab und nimmt die potenziellen Risiken ihrer unendlich potenten kognitiven Struktur in Kauf. (Edelbauer 2021:164)

The paradox of artificial intelligence is that any system simple enough to be understandable is not complicated enough to behave intelligently, and any system complicated enough to behave intelligently is not simple enough to understand. (Dyson 2012:317)
III Katastrophe
Es hat sich eine große Katastrophe ereignet, was vor allem daran lag, dass keine künstliche Intelligenz da war, die sie hätte verhindern können. Die Menschen haben gezündelt wie Kinder mit einer Bombe, haben nicht verstanden, dass ihre eigene Reproduktionsfähigkeit eine brutzelnde Lunte ist. Die Reproduktionsfähigkeit löst die Überbevölkerung aus, und die Überbevölkerung die Naturkatastrophe. Bumm! (Edelbauer 2021:279)
Epilog
Eine Utopie gibt kein Abbild der wirklichen Welt oder der aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Ordnung. Sie existiert an keinem Punkt in der Zeit oder im Raum; sie ist »nirgendwo«. Aber gerade diese Konzeption eines Nirgendwo hat die Prüfung bestanden und ihre Kraft bei der Gestaltung der modernen Welt unter Beweis gestellt. Es ergibt sich aus dem Wesen und der Eigenart ethischen Denkens, daß es sich mit der Hinnahme des »Gegebenen« niemals begnügen kann. Die ethische Welt ist nie gegeben; sie befindet sich stets »im Bau«. »In der Idee leben«, so sagt Goethe, »heißt das Unmögliche so behandeln, als wenn es möglich wäre. (Cassirer 2009:99)


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