Dazu eine heiße Schokolade (*) zubereiten, die „Zäh und dickflüssig, schwarz wie die Nacht vor einem schweren Gewitter“ ist, und diese beim Lesen „in kleinen Portionen, heiß, aber nicht zu heiß, in kleinen Tassen und – im Idealfall – mit Silberlöffeln“ verzehren.
(Obendrein kann es nicht schaden, zugleich Taschentücher, einen Boxsack, die Schulter eines geliebten Menschen oder im besten Fall alles drei parat zu halten.)
(*) Keine Angst vor dem Fluch der heißen Schokolade, denn „Für jeden Fluch gibt es einen Zauberspruch, der ihn unschädlich macht“.
Warum 1279 Seiten viel zu kurz sind / georgische Streifzüge durch den Roman:
Die Gewöhnung ans Denken verhindert manchmal die Wahrnehmung der Wirklichkeit, macht gegen sie immun und lässt sie lediglich als einen weiteren Gedanken erscheinen.
Da aber das Ich davon lebt, unablässig an eine große Zahl von Dingen zu denken, ja, eigentlich nichts anderes ist als das Denken an diese Dinge, findet es, wenn es zufällig einmal nicht diese Dinge vor sich hat und stattdessen plötzlich an sich selbst denkt, nur einen leeren Apparat vor, etwas, das es nicht kennt [...]
Das Leiden strebt, als Auswirkung eines erlittenen moralischen Schocks, nach Veränderung seiner Form, man hofft, es in Rauch auflösen zu können, indem man Pläne schmiedet, Auskünfte einholt, man will, dass es seine unzähligen Metamorphosen durchläuft, denn das erfordert weniger Mut, als seinem Leiden freien Lauf zu lassen; das Lager, auf das man sich mit seinen Schmerzen bettet, erscheint so eng, so hart, so kalt.
entkommen
Zusammensein ist die reparativste Praktik, die ich kenne. Weil wenn die Angst reinkickt, wird das Entkommen nie ein individueller Akt sein.
Der Moment der Wahrheit: ein Ablassen von sich selbst, trotz der aufrichtigen Erkundung des Grauens, in dem man sich befindet; ein Übergang in die Zusammenhänge der Welt, die mehr ist, als man jemals sein kann; das Lachen beim Abschmirgeln der eigenen Idiotie.
Lange habe ich versucht, mir mein Existieren als andauernden Bewältigungsmechanismus vorzustellen. Dabei wusste ich eigentlich schon immer, dass ich kollaborative Zusammenhänge der Isolation vorziehe. Trotzdem habe ich mich oft isoliert. Ich wollte mich, für mich selbst, ganz tief reingraben in die Gegenwart; ich kauerte in ihr, ich kaute in ihr an meinen Fingernägeln rum. Ich wollte verstehen, was mich umgab. Was mich umgab, ballerte sich in meine Bewusstsein und blieb da.
transzendieren
Unumgrenzt
Wir machen zu viel Geschichte.
Mit oder ohne uns
Sind da die Stille
Und die Steine und das ferne Gleißen.
Was es aber gilt, zu sein,
ist, oh, der kleine Sang der Schwalben
am ewig abendtrüben
Wasser unter Weiden.
Zu sein heißt, zu wissen, dass der Fluss
Lachse fasst und der Ozean
Wale, so sacht
wie Körper Seelen fassen
in der Gegenwart, in der Gegenwart.
Und eine fantasievolle Reflexion über die (Un-)Vollzähligkeit der Sterne, denn
Beengung heißt auch, daß der Mensch mit sich allein auf diesem winzigen Weltkörper das Gefühl der Kontingenz nicht loswerden kann und sich von dem Anblick fremder Welten doch noch das ganz Unerwartete verspricht - und sei es das Versprechen, mit dem Leben müsse es nicht notwendig dahin kommen, wohin es mit ihm selbst gekommen ist. (Hans Blumenberg - Die Vollzähligkeit der Sterne, S. 119)
... weil es heute Eskapismus ist, keine Science-Fiction zu lesen! (*)
Das Bewusstsein erscheint uns als stetiger Strom, wohlgemerkt: erscheint! Das ist die Art und Weise, wie das Gehirn unsere Wahrnehmung organisiert. Die Realität entsteht nicht kontinuierlich, sondern in plötzlichen Ausbrüchen wie elektrische Entladungen. Unser gesamtes Erleben wird retrospektiv konstruiert, so etwas wie die Gegenwart gibt es gar nicht – es ist nur die Vergangenheit, die wir auf diese Weise einmalig machen können.
– Greg Egan: Quarantäne
Maria sah es fast zum Greifen nah vor sich: ein riesiges Gitterwerk aus Computern. Ein Saatkorn von Ordnung in einem Ozean aus chaotischem Rauschen. Es wuchs und wuchs, erweiterte sich stetig – durch nichts als die zwingende Kraft seiner inneren Logik. Es formte die zu seiner Erweiterung benötigten »Bausteine« aus dem Chaos der Nicht-Raum-Zeit durch nichts anderes als Definition … Es werde Zeit, es werde Raum.
– Greg Egan: Cyber-City
Sobald die Menschen nicht mehr verstanden, wie die Maschinen funktionierten, von denen sie umgeben waren, verwandelte sich die Welt, in der sie lebten, in eine unbegreifliche Traumwelt. Dann entzog sich die Technologie jeder Kontrolle, jeder Diskussion, so dass man ihr nur noch mit Verehrung oder Verachtung, mit Abhängigkeit oder Entfremdung begegnen konnte.
Kriegsvorbereitungen, die das falscheste aller alten Sprichwörter* empfiehlt, um dem Friedenswillen zum Sieg zu verhelfen, rufen im Gegenteil zuerst bei jedem der beiden Gegner die Überzeugung hervor, der andere wolle den Bruch, eine Überzeugung, die den Bruch herbeiführt, und dann, wenn er stattgefunden hat, bei jedem die weitere Überzeugung, dass der andere ihn gewollt habe. Selbst wenn die Drohung nicht aufrichtig war, verführt ihr Erfolg dazu, sie zu wiederholen. Doch der genaue Punkt, bis zu dem ein Bluff erfolgreich sein kann, ist schwer zu bestimmen; wenn der eine zu weit geht, wagt sich der andere, der bis dahin nachgegeben hat, seinerseits vor; der erste, der seine Methode nicht mehr zu ändern weiß und sich an den Gedanken gewöhnt hat, die beste Art, den Bruch zu vermeiden, sei, so zu tun, als fürchte man ihn nicht [...], und im übrigen aus Stolz lieber untergeht als nachzugeben, verfolgt seine Drohung bis zu dem Augenblick, in dem keiner mehr zurück kann. Der Bluff kann sich mit Aufrichtigkeit mischen oder mit ihr abwechseln, so dass, was gestern noch Spiel war, morgen Wirklichkeit wird. Schließlich kann es auch vorkommen, dass einer der Gegner tatsächlich zum Krieg entschlossen ist, [...]
– Marcel Proust († 18. November 1922): Die Gefangene (Band 5, Seite 495)
Die Perspektive des Futur zwei als Ausblick in eine vollendete Zukunft:
Jeder Sommer, den wir jetzt erleben, wird der Kälteste gewesen sein.
Die Bedingungen des Überlebens werden durch das Klima festgelegt – mit seinen langsamen Veränderungen, die eine Generation oft gar nicht wahrnimmt. Und es sind die klimatischen Extreme, die das Muster bestimmen. Einzelne, endliche Menschen können vielleicht das Klima einer bestimmten Region beobachten, Fluktuationen im Jahreswetter, und gelegentlich fällt ihnen etwas in der Art von »Das ist das kälteste Jahr, das ich jemals erlebt habe« auf. All das ist ersichtlich. Aber Menschen werden nur selten auf einen sich über viele Jahre hinweg verändernden Durchschnittswert aufmerksam. Aber es ist genau diese Aufmerksamkeit, durch die Menschen lernen, wie man auf welchem Planeten überlebt. Die Menschen müssen lernen, das Klima zu begreifen.
Frank Herbert: Die Kinder des Wüstenplaneten (1976)
Vergleichsweise selten aber versuchen wir, uns im Blick jener zu identifizieren, die kommen und an uns verzweifeln werden.
[...]
Ja, wir wussten viel und fühlten wenig. Wir durften es nicht fühlen und hörten doch T.S. Eliot fragen: »Where is the wisdom we lost in knowledge? Where is the knowledge we lost in information?« Hörten es und häuften noch mehr Informationen auf. Als brauchten wir zum Handeln einen neuen Klimabericht, einen neuen Schadensbericht über die Weltmeere, den Regenwald, die grassierende Armut. Aber aus all den Fakten ist keine Praxis entsprungen, die auf der Höhe der drohenden Zukunft wäre.
[...]
So bewegten wir uns in die Zukunft des Futurums II: Ich werde gewesen sein.
[...]
Wir waren die, die verschwanden. Wir lebten als der Mensch, der sich in der Tür umdreht, noch etwas sagen will, aber nichts mehr zu sagen hat.
Roger Willemsen: Wer wir waren. Zukunftsrede (2016)
What troubles me most is that, in facing this global crisis, we are failing to work together as a multilateral community.
Was mich am meisten beunruhigt, ist, dass wir angesichts dieser globalen Krise nicht in der Lage sind, als multilaterale Gesellschaft zusammenzuarbeiten.
We have a choice. Collective action or collective suicide.
Wir haben die Wahl. Entweder handeln wir zusammen oder wir begehen kollektiven Suizid
UN-Generalsekretär António Guterres: Petersberger Dialog, Berlin (18. Juli 2022)