Weltinnenraum

- unattached -

"[...]
Erde, ist es nicht dies, was du willst: unsichtbar
in uns erstehn? – Ist es dein Traum nicht,
einmal unsichtbar zu sein? – Erde! unsichtbar!
Was, wenn Verwandlung nicht, ist dein drängender Auftrag?
Erde, du liebe, ich will. Oh glaub, es bedürfte
nicht deiner Frühlinge mehr, mich dir zu gewinnen – , einer,
ach, ein einziger ist schon dem Blute zu viel.
Namenlos bin ich zu dir entschlossen, von weit her.
Immer warst du im Recht, und dein heiliger Einfall
ist der vertrauliche Tod.

Siehe, ich lebe. Woraus? Weder Kindheit noch Zukunft
werden weniger..... Überzähliges Dasein
entspringt mir im Herzen."

– Rainer Maria Rilke - Duineser Elegien
(aus: Die neunte Elegie, März 1912 (Duino) und 9. Februar 1922 (Muzot))



Bis zum Ende der Zeit Im Schatten junger Mädchenblüte Die Schönheit der Begegnung.

Oder: Wie die Titel von drei wundervollen Büchern einen ebenso wundervollen Satz formen.


Während wir in Richtung eines kalten, öden Kosmos taumeln, müssen wir uns damit abfinden, dass es keinen großen Plan gibt. Teilchen sind nicht mit Sinn und Zweck behaftet. Es gibt keine letzte Antwort, die in den Tiefen des Raumes schwebt und auf ihre Entdeckung wartet. Stattdessen können bestimme, ganz besondere Teilchenansammlungen denken, fühlen und reflektieren, und innerhalb dieser subjektiven Welten können sie für sich einen Daseinszweck schaffen. In unserem Streben, die conditio humana zu ergründen, gibt es deshalb nur eine Blickrichtung: nach innen. Das ist die Blickrichtung des Erhabenen. Sie verzichtet auf vorgefertigte Antworten und führt zum sehr persönlichen Weg der Sinnfindung. Sie führt mitten ins Herz des kreativen Ausdrucks und an die Quelle jener Erzählungen, die am längsten nachhallen. Die Wissenschaft ist ein hervorragendes Instrument, um eine äußere Realität zu begreifen. Aber alles andere innerhalb dieser Rubrik, innerhalb dieser Einsicht, ist der Mensch, der sich selbst betrachtet, der versteht, was er zum Weitermachen braucht, und der dabei eine Geschichte erzählt, die in die Dunkelheit ausstrahlt. Eine Geschichte, aus Tönen geschnitzt und in Schweigen geritzt, die im besten Fall die Seele berührt.
Brian Greene - Bis zum Ende der Zeit. Der Mensch, das Universum und unsere Suche nach dem Sinn des Lebens (2020)

wenn der Geist zum Träumen neigt, darf man ihn nicht davon abbringen oder ihm Beschränkungen auferlegen. Denn wenn Sie Ihren Geist von seinen Träumen abwenden, wird er sie nicht erkennen; Sie würden zum Spielball Tausender Phantasmen werden, weil Sie deren Natur nicht verstanden hätten. Wenn ein wenig Träumerei gefährlich ist, so hilft dagegen nicht weniger Träumerei, sondern mehr, der ganze Traum. Es ist wichtig, dass man seine Träume ganz und gar kennt, um nicht zu viel unter ihnen leiden zu müssen; es gibt eine bestimmte Trennlinie zwischen Traum und Leben, die zu ziehen so nützlich ist, dass ich mich frage, ob man das nicht auf alle Fälle vorbeugend tun sollte,
Marcel Proust - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Band 2: Im Schatten junger Mädchenblüte (1919) (*)

Aber was ist schon die Wirklichkeit? Finden diese Begegnungen statt und ist das nicht ein unergründliches Verhältnis, also jenes zwischen Wirklichkeit und Erinnerung?
Die Sehnsucht ist nicht nur eine Qual, sie ist auch ein Liebesbeweis.
Warum will man die Anerkennung der Eltern, obwohl es um das eigene Leben geht?
So hat es begonnen. Genau so.
Frank Berzbach - Die Schönheit der Begegnung: 32 Variationen über die Liebe (2020)



Fundstücke aus Schatzkammern

GenjoKoan


Hätte sich aber ein Fisch vorgenommen, das Wasser umfassend zu erforschen, bevor er darin schwimmt, und der Vogel, den Himmel völlig auszuloten, bevor er fliegt, dann könnten der Fisch und der Vogel niemals ihren Weg und ihren Ort im Wasser oder im Himmel finden.
Dogen Zenji - Shobogenzo (1231 - 1253)
(Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges - übertragen von Ritsunen Gabriele Linnebach und Gudo Wafu Nishijima-Roshi)

Sie [die Menschen] erinnern an einen Mann, der sein Leben lang am Meeresufer steht und verzweifelt versucht, die »guten« Wellen fest- und die »schlechten« fernzuhalten. Tagein, tagaus steht er am Strand und verliert bei dieser sinnlosen Übung schier den Verstand. Irgendwann setzt er sich hin und schaut einfach zu, wie die Wellen kommen und gehen. Welcher Frieden!
Yuval Noah Harari - Eine kurze Geschichte der Menschheit (2011)

Buddha hatte kein Smartphone und dennoch thematisierte er all die Unruhe, die auch heute noch die Menschen quält.
Frank Berzbach - Die Form der Schönheit: Über eine Quelle der Lebenskunst (2018)

Shobogenzo


Aufs Schlimmste zu

VielenDankFuerDasLeben
Fast jedes System schätzt Bürger, die über eine normale Intelligenz verfügen. Verformungen über oder unter dem Durchschnitt verursachen Kosten und sind überwachungsaufwendig. Der Vorteil von Bürgern, deren Intelligenzquotient sich unter 100 aufhält, ist es, dass sie ihre Beschränkung nicht erkennen. Da erscheint kein kleiner gelber Kollege an der Datenautobahn des Gehirn und reißt ein Schild empor: Hier geht's nicht weiter. Die gelben Kollegen tauchen erst ab 130 auf und machen unzufrieden.
Sibylle Berg - Vielen Dank für das Leben (2012)


AufsSchlimmsteZu
Alles seit je. Nie was andres. Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.
Samuel Beckett - Aufs Schlimmste zu (1983)


UnbewohnbareErde
Es ist schlimmer, viel schlimmer als Sie denken.
David Wallace-Wells - Die unbewohnbare Erde: Leben nach der Erderwärmung (2019)


Freie Geister

FearDer Die eine begeistert Leserwelten, Ursula K. Le Guin, Grande Dame der Science Fiction und weit über jegliche Genres hinaus.

Meine Welt, die Erde, ist ein Trümmerfeld. Ein durch die Spezies Mensch zerstörter Planet. Wir haben uns vermehrt und bekriegt, wir haben gefressen, bis nichts mehr übrig war, und dann sind wir gestorben. Wir haben weder Appetit noch Gewalt gebändigt; wir haben uns nicht angepasst. Wir haben uns selbst vernichtet. Aber vorher haben wir die Welt vernichtet. Auf meiner Erde gibt es keine Wälder mehr.
Es ist immer einfacher, nicht selber zu denken. Eine nette, sichere Hierarchie zu finden und sich darin einzurichten. Bloß nichts verändern, ja kein Missfallen riskieren, ja keine Syndiks verärgern. Es ist immer am einfachsten, sich von anderen regieren zu lassen.

FEAR
Der andere begeistert auch Hörerwelten, Gerald Hüther, Neurobiologie und Autor, dessen Bücher und Vorträge fast allesamt ausnahmslos eine Empfehlung sind.

Ich halte das nicht mehr länger aus, dass eine vorübergehend irregeleitete Spezies auf diesem Planeten dabei ist, diese über Millionen Jahre gewachsene Vielfalt des Lebendigen zu zerstören.
Wir leben in einer Welt, die von Hierarchien und Leistung bestimmt wird. Je höher jemand in der Hierarchie ist, desto eher behandelt er die Menschen „unter ihm“ wie Objekte. Dass auch diese Person ein Mensch ist, gerät dabei in Vergessenheit. Viele denken nur noch an Ziele, Zahlen – und Profite.

FEAR
Vor 2 Jahren versäumte ich eine Würdigung, heute wäre ihr 90. Geburtstag und so verbleibt das letzte Wort bei Frau Le Guin:

Und dennoch frage ich mich, ob das nicht alles ein Missverständnis ist – dieses Greifen nach dem Glück, diese Angst vor Schmerz … ob man anstatt sich zu fürchten und davor wegzulaufen … hindurchgehen, darüber hinausgelangen könnte. Es gibt etwas, was dahinter liegt. Was leidet, ist das Ich, und es gibt einen Ort, wo das Ich – erlischt.
(Alle 3 Zitate entstammen ihrem Buch "The Dispossessed" von 1974, in der neuesten Übersetzung "Freie Geister - Eine zwiespältige Utopie".)



en attendant

Unterwegs im winterlichen Luberon

Wo nur ein Tagesmarsch den Zufluchtsort eines Iren und den Landsitz eines Franzosen trennt,
Und im Winter der Mensch als Namenloser einsam durch die Landschaft pilgert.
Wo das Warten seinen Anfang nahm,
Und hoffentlich ein Ende findet.

Beckett
Beckett's Haus in Roussillon während der Résistance. Hier schrieb er des Nachts an dem Roman „Watt“. Während des Aufenthaltes von 1942 - 1945 reifte die Idee zu „Warten auf Godot“ (En attendant Godot), seinem wohl berühmtesten Theaterstück. „Roussillon war für ihn sowohl Rettung als auch Inspiration.“, schrieb sein Biograf James Knowlson.


Camus
Camus' Grab in Lourmarin. Hier schrieb er an dem Roman „Der erste Mensch“, welcher durch einen tödlichen Autounfall als Beifahrer auf dem Weg nach Paris am 04. Januar 1960 unvollendet blieb. Camus ließ sich vom Neffen seines Verlegers Gallimard zu Fahrt mit dem Auto überreden, obwohl er schon eine Zugfahrkarte gelöst hatte.

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