Stoner

Versuch einer Annäherung.

StonerOriginal
Da er so spät mit dem Studium angefangen hatte, spürte er nun umso deutlicher dessen Dringlichkeit. Manchmal, wenn er in die Bücher vertieft war, überkam ihn eine Ahnung dessen, was er alles nicht wusste, was er noch nicht gelesen hatte, und die Ruhe, auf die er hinarbeitete, wurde von der Erkenntnis erschüttert, wie wenig Zeit ihm doch im Leben blieb, um so viel lesen, um all das lernen zu können, was er wissen musste.
(S. 36)

ALS WILLIAM STONER SEHR JUNG WAR, hatte er die Liebe für einen vollkommenen Seinszustand gehalten, zu dem Zugang fand, wer Glück hatte. Als er erwachsen wurde, sagte er sich, die Liebe sei der Himmel einer falschen Religion, dem man mit belustigter Ungläubigkeit, vage vertrauter Verachtung und verlegener Sehnsucht entgegensehen sollte. Nun begann er zu begreifen, dass die Liebe weder Gnade noch Illusion war; vielmehr hielt er sie für einen Akt der Menschwerdung, einen Zustand, den wir erschaffen und dem wir uns anpassen von Tag zu Tag, von Augenblick zu Augenblick durch Willenskraft, Klugheit und Herzensgüte.
(S. 246)

[...] begriff er, welch eine Vergeudung und Sinnlosigkeit es bedeutete, sich ganz jenen irrationalen und dunklen Kräften zu überlassen, von denen die Welt ihrem unbekannten Ende entgegengetrieben wurde; und [...] zog auch Stoner sich ein wenig in Mitleid und Liebe zurück, weshalb ihn die allgemeine Rastlosigkeit verschonte, die er überall beobachten konnte.
(S. 277)

StonerFalk


Norwegian Wood

Fotografie und Literatur in Zeiten von...

Nein, es geht nicht um gleichnamigen Beatles Song (…This Bird Has Flown) aus dem Jahre 1965. Ebensowenig um Haruki Murakamis Roman Noruwei no mori (Norwegian Wood/Naokos Lächeln), obgleich alles auf verschiedenen Ebenen wundersam miteinander verwoben ist.

Während Murakami (I, II, III) noch auf den längst verdienten Nobelpreis hoffen darf, ist hier die Rede von dem für diese Auszeichnung mehrfach nominierten Autoren Tarjei Vesaas (1897 - 1970) und zwei seiner so fantastisch aus dem norwegischen übersetzten Schätze.

DieVoegel
Tarjei Vesaas - Die Vögel (1961)

Mattis schaute, ob der Himmel jetzt am Abend klar und wolkenlos war. Ja, war er. Dann sagte er zu seiner Schwester Hege, um ihr eine Freude zu machen:
"Du bist ja ein Blitz, du!", sagte er zu ihr.
Dass er dieses Wort in den Mund nahm, erschreckte ihn ein wenig, war aber ungefährlich, denn der Himmel war schön.
"Mit den Stricknadeln, meine ich", fügte er hinzu.
Wird anders werden, dachte Mattis abwesend. Er nahm seine Sachen und zog sich an. Fühlte sich schon verändert, irgendwie von zwei starken Armen getragen: Der Schnepfenstrich und der Traum nahmen ihn zwischen sich. Er lauschte schon, ob sich auch heute etwas Ungewöhnliches melden würde. Vielleicht wartete ein nie gedachtes Wort oder etwas Schönes - jetzt, wo sich alles gewendet hatte.
Mattis beugte sich hinab und las, was da stand. Betrachtete die leichten, tanzenden Spuren. So leicht und fein ist der Vogel, dachte er. So leicht geht mein Vogel über die Moore, wenn er des Himmels müde ist.

DasEisschloss
Tarjei Vesaas - Das Eis-Schloss (1965)


Traum von verschneiten Brücken

Wir stehen da, der Schnee fällt dichter.
Dein Mantelärmel wird weiß.
Mein Mantelärmel wird weiß.
Sie verbinden uns wie
verschneite Brücken.

Aber verschneite Brücken sind gefroren.
Hier drinnen ist es lebendig und warm.
Dein Arm, warm unter dem Schnee, ist ein
seliges Gewicht auf meinem.

Es schneit ohne Unterlass
auf stille Brücken.
Brücken, von denen niemand weiß.



Fundstücke aus Schatzkammern

GenjoKoan


Hätte sich aber ein Fisch vorgenommen, das Wasser umfassend zu erforschen, bevor er darin schwimmt, und der Vogel, den Himmel völlig auszuloten, bevor er fliegt, dann könnten der Fisch und der Vogel niemals ihren Weg und ihren Ort im Wasser oder im Himmel finden.
Dogen Zenji - Shobogenzo (1231 - 1253)
(Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges - übertragen von Ritsunen Gabriele Linnebach und Gudo Wafu Nishijima-Roshi)

Sie [die Menschen] erinnern an einen Mann, der sein Leben lang am Meeresufer steht und verzweifelt versucht, die »guten« Wellen fest- und die »schlechten« fernzuhalten. Tagein, tagaus steht er am Strand und verliert bei dieser sinnlosen Übung schier den Verstand. Irgendwann setzt er sich hin und schaut einfach zu, wie die Wellen kommen und gehen. Welcher Frieden!
Yuval Noah Harari - Eine kurze Geschichte der Menschheit (2011)

Buddha hatte kein Smartphone und dennoch thematisierte er all die Unruhe, die auch heute noch die Menschen quält.
Frank Berzbach - Die Form der Schönheit: Über eine Quelle der Lebenskunst (2018)

Shobogenzo


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